EuGH - quantitativ selektives Vertriebssystem von Land Rover - Klarstellung

Sonntag, 07. Juli 2012

Der EuGH (C‑158/11 vom 14.06.2012) hat sich in der Vorabentscheidungssache Auto 24 gegen Jaguar Land Rover France SAS mit der Frage zu beschäftigen, was der Begriff "festgelegte Merkmale" in Art 1 Abs 1 lit f VO 1400/2002 (KFZ-GVO alt) bedeutet.

Diskriminierung eines ehemaligen Vertragshändlers

Jaguar Land Rover France SAS (JLR) ist Importeurin von Neuwagen und Erzeugnissen der Marke LAND ROVER in Frankreich. Seit 1994 war die Auto 24 SARL ausschließliche Vertragshändlerin von JLR in Périgueux (Frankreich). Ihr Konzessionsvertrag wurde am 27. September 2002 gemäß der vertraglich vorgesehenen Frist von zwei Jahren zum 30. September 2004 gekündigt. Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung schloss Auto 24 mit JLR einen Vertrag als zugelassene Werkstatt. Ihre Bewerbung als Vertragshändlerin wurde von JLR abgelehnt.  Das Tribunal de commerce de Versailles entschied, dass JLR bei der Prüfung dieser Bewerbung eine Diskriminierung begangen habe, und verurteilte sie infolgedessen dazu, an Auto 24 den Betrag von 100 000 Euro als Schadensersatz für den entgangenen Gewinn zu zahlen, den Auto 24 hätte erzielen können, wenn sie die Stellung einer Vertragshändlerin erlangt hätte.

Am 19. Januar 2006 lehnte es JLR erneut ab, Auto 24 die Stellung einer Vertragshändlerin in Périgueux einzuräumen. Zur Begründung gab sie an, dass der von ihr festgelegte „Numerus clausus“ die Benennung eines Neuwagenhändlers in dieser Stadt nicht vorsehe.

Im Oktober 2006 eröffnete das als Vertragshändler von JLR tätige Unternehmen Pericaud Automobiles eine Zweigniederlassung in Trélissac (Frankreich) am Stadtrand von Périgueux.

Klage und Vorlage an den EuGH

Unter diesen Umständen erhob Auto 24 gegen JLR Klage beim Tribunal de commerce de Bordeaux auf Ersatz des durch deren Weigerung, sie als Vertragshändlerin für das Gebiet von Périgueux zuzulassen, entstandenen Schadens.

Mit Urteil vom 8. Februar 2008 wies das Tribunal de commerce de Bordeaux sämtliche Klageanträge von Auto 24 ab.

Mit Urteil vom 2. Dezember 2009 bestätigte die Cour d’appel de Paris dieses Urteil und führte zur Begründung insbesondere aus, dass JLR die Zulassung von Auto 24 als Vertragshändlerin unter Berufung auf einen am 8. April 2005 festgelegten „Numerus clausus“ verweigert habe, der 72 Verträge für zugelassene Händler an 109 Standorten vorgesehen habe, die in einer Tabelle von Verträgen und Orten aufgeführt gewesen seien, zu denen Périgueux nicht gehört habe.

Auto 24 legte daraufhin gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein. Mit diesem Rechtsmittel rügt Auto 24 insbesondere, die Cour d’appel de Paris habe Art. 1 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung und Art. 1382 des Code civil dadurch verkannt, dass sie die Ansicht vertreten habe, die Konzessionsgeberin sei weder nach nationalen noch nach gemeinschaftlichen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zur Angabe von wirtschaftlichen oder anderen Gründen für die Aufstellung eines „Numerus clausus“ verpflichtet, und sich weiter auf die Feststellung, dass JLR einen „Numerus clausus“ ohne die Möglichkeit einer Händlerzulassung in Périgueux festgelegt habe, gestützt habe, ohne die Objektivität der Auswahlmerkmale, ihre wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, die Verbesserung der Dienstleistungen für die Kundschaft und die Bedingungen ihrer Erbringung geprüft zu haben. In einem quantitativen selektiven Vertriebssystem müsse der Lieferant für die Auswahl der Händler genaue und objektive quantitative Auswahlmerkmale verwenden, die dem zu erreichenden Ziel angemessen seien und in nicht diskriminierender Art und Weise angewandt würden.

Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation, die Zweifel in Bezug auf die Auslegung der Verordnung und insbesondere die Anforderungen an die Auswahlmerkmale bei quantitativen selektiven Vertriebssystemen hegt, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Was ist bei einem quantitativen selektiven Vertrieb unter dem Begriff „festgelegte Merkmale“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 1400/2002 zu verstehen?

Enscheidung EuGH (Rechtssatz)

Der Europäische Gerichtshof prüfte diese Frage und kam zusammengefasst zu folgendem Schluss:

Unter dem Begriff „festgelegte Merkmale“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor sind im Fall eines quantitativen selektiven Vertriebssystems im Sinne dieser Verordnung Merkmale zu verstehen, deren genauer Inhalt überprüft werden kann. Um in den Genuss der in dieser Verordnung vorgesehenen Freistellung zu gelangen, ist es nicht erforderlich, dass ein solches System auf Merkmalen beruht, die objektiv gerechtfertigt sind sowie einheitlich und unterschiedslos auf alle Bewerber um die Zulassung angewandt werden.

Beurteilung:

Das vorliegende Urteil führt zu einer Konkretisierung zu einer Detailfrage in selektiven Vertriebssystemen, die mE auch auf Folgesysteme außerhalb der VO 1400/2002 anwendbar ist.