EuGH zur Strukturkündigung nach der KFZ-GVO bei Toyota

Dienstag, 04. Juni 2007

Der EuGH hat zu C-273/06 zum Vertriebssystem von Toyota erkannt, dass allein das Inkrafttreten der KFZ-GVO keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten notwendig macht. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise der Fall ist.

Der Europäische Gerichtshof (Siebte Kammer) hat am 26.1.2007 in der Sache C-273/06 nach einem Vorabentscheidungsersuchen (Art 234 EG) des Handelsgerichtes Wien erkannt:

Das Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor hat als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge notwendig gemacht. Jedoch konnte dieses Inkrafttreten nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen, dass sie eine echte Umstrukturierung dieses Netzes im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

Führt ein Lieferant nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 ein selektives Vertriebssystem ein, bei dem zum einen die Vertragshändler keiner Beschränkung in Bezug auf das Gebiet mehr unterliegen, in dem sie die Vertragswaren vertreiben dürfen, und bei dem zum anderen die Vertragswerkstätten ihre Tätigkeiten auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen beschränken dürfen, so kann dies eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellen. Es ist Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise der Fall ist.

Zum Ausgangssachverhalt:
Am 15. Oktober 1996 schloss Toyota Frey mit Petschenig, die seit 24 Jahren Vertragshändlerin für Kraftfahrzeuge der Marke Toyota in Österreich war, einen neuen Vertragshändlervertrag für den Vertrieb dieser Fahrzeuge in diesem Mitgliedstaat (im Folgenden: Händlervertrag). Mit Schreiben vom 16. September 2002 kündigte Toyota Frey den Händlervertrag zum 30. September 2003 unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 12 Monaten mit der Begründung, dass sich aus Anlass des Ablaufs der alten KFZ-GVO und des Inkrafttretens der neuen KFZ-GVO Nr. 1400/2002 die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren.Petschenig klagte vor dem Handelsgericht Wien auf Ersatz des durch diese Kündigung mit einer um ein Jahr verkürzten Kündigungsfrist entstandenen Schadens. Zur Begründung ihrer Klage macht Petschenig geltend, Toyota Frey habe ihr Vertriebsnetz beim Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 weder insgesamt noch zu einem wesentlichen Teil umstrukturiert. Beinahe alle ehemaligen Vertragshändler hätten einen neuen Vertrag und alle Subhändler einen neuen Werkstättenvertrag erhalten. Um den Händlervertrag anzupassen, hätte Toyota Frey diesen daher mit einer Frist von zwei Jahren kündigen und eine Übergangsregelung in Form einer Vertragsergänzung für die Zeit zwischen dem Inkrafttreten der fraglichen Verordnung und dem Ende der Kündigungsfrist vorschlagen können. Toyota Frey macht dagegen geltend, da ihr Vertriebssystem so ausgerichtet gewesen sei, dass es voll und ganz den Prinzipien der Verordnung Nr. 1475/95 entsprochen habe, sei es notwendig gewesen, es beim Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 insgesamt umzustrukturieren und insbesondere ein kombiniert exklusiv-selektives System in ein rein selektives Vertriebssystem umzuwandeln.

Aus der Begründung:
Der Gerichtshof hat insbesondere darauf hingewiesen, dass die Verordnung Nr. 1400/2002 zwar zu wesentlichen Änderungen der mit der Verordnung Nr. 1475/95 eingeführten Gruppenfreistellungsregelung geführt hat, dass sich aber die Änderungen, die die Lieferanten möglicherweise an ihren Vertriebsnetzen vornahmen, um sicherzustellen, dass diese weiterhin unter die Gruppenfreistellung fallen, aus einer einfachen Anpassung der Verträge, die am Ende der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 1475/95 in Kraft waren, während der dafür in Art. 10 der Verordnung Nr. 1400/2002 vorgesehenen Übergangsfrist von einem Jahr ergeben konnten. Eine solche Anpassung brachte also nicht automatisch die Notwendigkeit mit sich, diese Verträge im Hinblick auf das geltende nationale Recht zu kündigen oder das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren (Urteile Vulcan Silkeborg, Randnrn. 59 bis 61, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 32).

Der Gerichtshof hat in diesen Urteilen jedoch auch entschieden, dass das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 dennoch in bestimmten Fällen nach Maßgabe der Besonderheiten des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes jedes einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen konnte, dass diese als eine echte Umstrukturierung des Netzes im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 betrachtet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile Vulcan Silkeborg, Randnrn. 62 und 65, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnrn. 31 und 38). Es ist Sache der nationalen Gerichte oder der Schiedsgerichte, unter Bezugnahme auf die oben gegebenen Hinweise und unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise zu beurteilen, ob die von dem Lieferanten vorgenommenen Änderungen eine solche Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes darstellen und ob diese durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 notwendig gemacht wurde (Urteile Vulcan Silkeborg, Randnr. 64, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 33).