VO 330/2010, Schirm-GVO - Überarbeitete Regeln für Vertrieb von Waren und Dienstleistungen

Donnerstag, 21. April 2010

Die EU-Kommission hat durch Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia überarbeitete Regeln bezüglich Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern von Waren und Dienstleistungen präsentiert (VO 330/2010). Diese neuen Regeln ersetzen die Vertikal-GVO-alt (2790/1999) und legen fest, welche Formen der Zusammenarbeit auch ohne Zustimmung der Wettbewerbshüter zulässig sind. Die Regeln gelten ab 1. Juni 2010.


Bedeutung für den KFZ-Sektor

Für den KFZ-Vertrieb werden diese Regeln von Relevanz, sofern die aktuelle KFZ-GVO (1400/2002) nicht verlängert wird. Diesfalls würde die "Allgemeine GVO" (auch Vertikal-GVO oder Schirm-GVO genannt) auch für den KFZ-Sektor gelten, für den das aus Händlersicht freilich ein schwerer Rückschritt wäre. Die Händlerschaft würde damit Vorzüge wie etwa

  • Mehrmarkenvertrieb
  • freie Standortwahl für Zusatzstandorte
  • Pflicht zur Begründung von Kündigungen
  • Kündigungsfrist von 2 Jahren (alternativ zur Fixvertragsdauer von 5 Jahren)
  • Trennung von Vertrieb und Kundendienst

verlieren.

Details der neuen Regeln

Die Verordnung und die dazugehörigen Leitlinien tragen der Bedeutung des Internets Rechnung, das sich in den letzten zehn Jahren für den Online-Verkauf und den grenzüberschreitenden Handel zu einem wichtigen Vertriebskanal entwickelt hat und dessen Entwicklung die Kommission im Interesse einer breiteren Produktauswahl für die Verbraucher und im Interesse des Preiswettbewerbs fördern möchte. Nach wie vor gilt der Grundsatz, dass die Unternehmen selbst entscheiden, wie ihre Produkte vertrieben werden. Voraussetzung ist allerdings, dass diesbezügliche Vereinbarungen keine Preisabsprachen oder anderen Kernbeschränkungen enthalten und keine der beiden Seiten – d. h. weder Hersteller noch Vertriebshändler – mehr als 30 % am jeweiligen Markt besitzt. Zugelassene Händler dürfen die Produkte ohne Mengenbeschränkungen über das Internet verkaufen. Zudem gibt es weder Einschränkungen in Bezug auf den Standort der Kunden noch die Preise.

„Für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und für die Verbraucherwohlfahrt ist eine klare und berechenbare Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Liefer- und Vertriebsvereinbarungen unerlässlich. Dabei muss den Händlern überlassen bleiben, ob sie ihre Kunden in ihrem eigenen Geschäft oder aber über das Internet bedienen. Die heute erlassenen Bestimmungen sollen sicherstellen, dass die Verbraucher die von ihnen gewünschten Waren und Dienstleistungen an jedem beliebigen Ort in der Europäischen Union zum günstigsten Preis kaufen können. Gleichzeitig müssen Unternehmen ohne Marktmacht die Möglichkeit haben, ihre Verkaufsnetze bedarfsgerecht zu organisieren", so Kommissionsvizepräsident und EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia.

Die Kommission hat heute eine neue Gruppenfreistellungsverordnung für Vertriebs- und Liefervereinbarungen, sogenannte „vertikale Vereinbarungen“, erlassen, die verschiedene Ebenen der Produktions- und Vertriebskette regeln. Es gibt zigtausende solcher vertikalen Vereinbarungen, so dass die erfolgte Überarbeitung der geltenden Regeln für viele Unternehmen und Verbraucher von Bedeutung ist. Die derzeitige Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für vertikale Vereinbarungen und die dazugehörigen Leitlinien sind zehn Jahre alt.

Wie ihre Produkte vertrieben werden sollen, entscheiden nach wie vor die Hersteller. Um allerdings den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung in Anspruch nehmen zu können, darf der Marktanteil eines Herstellers höchstens 30 % betragen. Außerdem dürfen Liefer- und Vertriebsvereinbarungen keine Kernbeschränkungen des Wettbewerbs enthalten. Als Kernbeschränkungen gelten unter anderem feste Weiterverkaufspreise oder Einschränkungen für den Handel im europäischen Binnenmarkt.

Nach den neuen Bestimmungen gilt die bisherige Marktanteilsschwelle von 30 % fortan nicht nur für die Hersteller, sondern auch für Vertriebs- und Einzelhändler. Auf diese Weise soll der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass auch Abnehmer über Marktmacht mit potenziell nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb verfügen können. Die Neuerung kommt kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) – ob Hersteller oder Einzelhändler – zugute, die ansonsten Gefahr laufen würden, vom Vertriebsmarkt ausgeschlossen zu werden.

Dies bedeutet allerdings nicht automatisch, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen mit höheren Marktanteilen als 30 % illegal sind. Die Unternehmen müssen nur zuvor prüfen, ob ihre Vereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Klauseln enthalten und ob diese gerechtfertigt sind.

In den neuen Bestimmungen wird auch ausdrücklich auf den Online-Verkauf eingegangen. So dürfen zugelassene Vertriebshändler die Produkte, die sie in ihren regulären Geschäften und Verkaufsstellen verkaufen, auch auf ihren Websites anbieten. Für selektive Vertriebssysteme bedeutet dies, dass die Hersteller den Vertriebshändlern für den Internetverkauf weder Mengenbeschränkungen auferlegen noch höhere Preise für online verkaufte Produkte verlangen dürfen. Außerdem ist in den überarbeiteten Leitlinien klargestellt, was im Rahmen des Alleinvertriebs unter „aktivem“ und „passivem“ Verkauf zu verstehen ist. Ein Abbruch einer Transaktion oder die automatische Umleitung von Verbrauchern aufgrund von Kreditkartenangaben, die erkennen lassen, dass sich ein Käufer im Ausland befindet, ist nicht erlaubt.

Die neuen Bestimmungen geben den Händlern eine solide Grundlage und einen konkreten Anreiz für den Ausbau ihres Online-Geschäfts, damit sie so einen größeren Kundenkreis innerhalb der Europäischen Union erreichen (und auch von mehr Kunden erreicht werden können) und die Vorteile des Binnenmarkts in vollem Umfang nutzen können.

Natürlich steht es den Herstellern nach wie vor frei, ihre Vertriebshändler nach Qualitätskriterien auszuwählen, die sich auf die Präsentation der Produkte beziehen, und zwar unabhängig davon, ob die Vertriebshändler die Produkte in einem Geschäft oder online anbieten. So können Hersteller sich dafür entscheiden, nur mit Händlern zu arbeiten, die über ein oder mehrere Geschäfte verfügen, in denen die Kunden die Produkte noch persönlich in Augenschein nehmen und ausprobieren bzw. testen können. Diesbezüglich wird die Kommission konzentrierte Märkte, zu denen Discounter (reine Internet-Discounter und herkömmliche Discountgeschäfte) eventuell keinen Zugang haben, besonders beobachten.

Die neuen Bestimmungen werden im Juni in Kraft treten und mit einer einjährigen Übergangsphase bis 2022 gelten.

Hintergrund der neuen Regeln der Vertikal-GVO


Die derzeitige Gruppenfreistellungsverordnung stammt aus dem Jahr 1999 und gilt für alle Vereinbarungen, die die EU-Wettbewerbsregeln nach Artikel 101 Absatz 3 EU-Vertrag erfüllen.

Mit der neuen Vertikal-GVO werden die Bemühungen der alten Vertikal-GVO (2790/1999) fortgesetzt, die Vorschriftenlast für Unternehmen mit geringer Marktmacht (insbesondere KMU) zu verringern.

Der Entwurf der neuen Bestimmungen wurde im Juli 2009 veröffentlicht. Aus den Stellungnahmen ging in überwältigender Klarheit hervor, dass sich die geltende GVO in der Praxis bewährt hat: Befolgungskosten und bürokratischer Aufwand für die Unternehmen sind gesunken, und die Verbraucher profitieren von größerer Produktauswahl und Preiswettbewerb. Die Kommission erhielt mehr als 150 Stellungnahmen zu dem Entwurf.

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Dr. Johannes Öhlböck LL.M.

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